Til Schweiger ist leider nur einer von viel zu vielen

4. Mai 2023

Liebe Freunde,
 
Vor gefühlt zwei Jahrzehnten sollte in Kornelimünster/Aachen das nostalgische Karussel auf dem historischen Jahrmarkt von Roncalli nach Marktende für einen Dreh mit Til Schweiger stehen bleiben.
 
„Wie ist der denn so, der Til Schweiger“, fragte ich im nachhinein beim Frühstück im Hotel “zur Abtei” unsere Künstler.
 
„Ein arrogantes Arschlosch!“ Also kein Netter, denn unsere Marktleute in Kornelimünster waren alles Nette.
 
Nun wird es öffentlich: Til Schweiger soll kein Netter sein.
 
Am Wochenende in Husum hat mir gerade ein Aussteller in diesem Zusammenhang erzählt, der in den VIP Logen großer Veranstaltungen berühmte Prominente aus Funk und Fernsehen erlebt, wie sie Sturz betrunken waren und sich im Beisein anderer die Hose runter bepinkelt haben.
 
“Du glaubst nicht, was bei diesen Prominenten abgeht. Ekelig!“
 
Davon habe ich in unterschiedlichen Fällen schon oft gehört.
 
Deshalb sollten wir sie nicht bewundern, wenn sie vorteilhaft geschminkt in den Talkshows sitzen und sich gegenseitig beweihräuchern wie toll und einzigartig sie denn zu uns Unsichtbaren sind.
 
Jetzt also Til Schweiger mit Moral zu kommen, ist so verlogen wie er seine Verfehlungen herunterspielt.
 
Fest steht, dass Alkoholiker ihren Alkoholkonsum immer leugnen, selbst wenn ihre Poren schon Alkohol ausdünsten.
 
Warum werden Menschen zu Alkoholikern, denn es ist eine anerkannte Krankheit?
 
Das erste Trinkmotiv sind soziale Motive
Alkohol und Spaß – das gehört für viele Menschen zusammen. Wenn soziale Motive wie beim Alkoholkonsum eine Rolle spielen, möchte man durch Alkohol vor allem offener und redseliger werden. Dadurch hat man das Gefühl, dass das Gemeinschaftsgefühl zu den Menschen, mit denen man trinkt, gestärkt wird. Man traut sich eher, auf andere zuzugehen und erlebt eine intensivere Nähe.Typische Situationen, in denen soziale Motive eine Rolle spielen sind Partys, Firmenfeiern, Geburtstage und Jubiläen. Eigentlich kein Problem.
 
Das zweite Trinkmotiv sind Konformitätsmotive
Konformität bedeutet Übereinstimmung. Wenn Konformitätsmotive beim Alkoholkonsum eine Rolle spielen, möchte man sich vor allem anderen zugehörig fühlen. Würde man nicht mittrinken, hätte man das Gefühl, nicht mehr mit ihnen übereinzustimmen.
Alkohol schafft eine Gemeinsamkeit und man möchte die Sympathie der anderen gewinnen oder behalten. Typische Situationen sind Treffen mit Freunden, Kolleginnen oder Vorgesetzten, Familientreffen sowie Stammtische.
Das sind auch die Motive auf einigen Märkten – bevorzugt mit befreundeten Ausstellern. Davon sind unsere Märkte ausgeschlossen.
 
Der Unterschied zwischen sozialen Motiven und Konformitätsmotiven liegt darin, dass man bei sozialen Motiven „für dich” trinkt und bei Konformitätsmotiven „für andere”.
 
Das dritte Trinkmotiv sind Verstärkungsmotive.
Nicht umsonst trinkt die Mehrheit aller Menschen ab und zu Alkohol, denn die Wirkung des Alkohols kann sich gut anfühlen. Genau das steht bei Verstärkungsmotiven im Vordergrund. Alkohol gilt in Maßen als Genussmittel, Er kann Ausgelassenheit und Gelöstheit erzeugen. Genau diese Erfahrungen sind es allerdings, die die Sucht nach Alkohol im Belohnungszentrum des Gehirns begünstigen.
 
Das vierte Trinkmotiv sind Bewältigungsmotive.
Es ist auch möglich, dass man das Bedürfnis verspürt Alkohol zu trinken, wenn es einem nicht gut geht. Es kann sich bei diesen unangenehmen Gefühlen um Stress, Trauer, Gereiztheit oder Überforderung handeln.
 
Wenn man aus Bewältigungsmotiven Alkohol trinkt, möchte man diese unangenehmen Gedanken und Gefühle mittels des Alkohols loswerden. Bewältigungsmotive finden wir häufig relevant bei einem hohen Arbeitspensum, familiären Streitigkeiten oder auch Einsamkeit.
 
Aber das Tragische ist, dass im Gehirn langfristigen Alkoholkonsums Hirnmasse als auch Hirnvolumen abnehmen. Jeder langfristige Alkoholkonsum zerstört Hirnzellen.
Alkoholismus frißt Hirn.
 
Eine mögliche Persönlichkeitsveränderung durch Alkohol ist das Nachlassen der Impulskontrolle. Die Betroffenen haben ihre eigenen Emotionen. Ihre Reaktionen und ihr Handeln haben sie in einem geringeren Maße unter Kontrolle. Und genau das ist das Schlimme – auch bei Til Schweiger.
 
Im Fall Til Schweiger ist das Empörende, dass er sich aufführen kann wie er will. Die Schauspieler sind von seinem Dreh abhängig. Das ist für mich das Gemeine: Abhängigkeit von einem Alkoholiker – nur um seine Miete zahlen zu können oder weitere Filmrollen zu bekommen.
 
Til Schweiger ist mir egal. Aber er steht für eine Filmbranche die von vielen bewundert wird. Nun würde der Volksmund sagen: „der wird seinen Verstand versaufen“. Das wäre schade um einen so begabten und trotz allem genialen Menschen.
 
Wir brauchen jetzt nicht alle mit Häme auf Til Schweiger zu hauen. Auch in unserer Marktgesellschaft gibt es Alkoholiker. Selbst in meiner ehemaligen Firma gab es einen Eismeister der vom Alkohol nicht los kam. 
 
Die Eisfrauen am Fließband steckten ihm morgens eine Flasche Korn in den Kittel, um ihn bei Laune zu halten. Je mehr Alkohol er im Blut hatte, desto sahniger schmeckte das Eis. Wir im Büro holten uns oft ein „Schwarzröckchen“ frisch vom Eisband. Ich konnte schmecken, wenn die Eisfrauen ihm wieder Flaschen Alkohol zugesteckt hatten. Dann schmeckte das Eis nach Sahne.
 
Ein Freund von mir ist mit 65 Jahren an den Folgen von jahrelangem Alkoholmissbrauch an Magenkrebs gestorben. Er war Bauingenieur in einer Behörde. Dreimal hatte er sich einer Entziehungskur im Laufe der Jahre unterzogen. Er hat es nie wirklich geschafft vom Alkohol los zu kommen. Er war ein gut aussehender charmanter und intelligenter Typ dem man nie anmerkte, dass er jeden Tag trank. Nach seinem Tod fand meine Freundin in jeder Ecke des Hauses leere Alkoholflaschen.
 
Auch auf unseren Märkten hatten wir einen Alkoholiker. Die Kunden standen vor seinem Stand. Sie waren extra für ihn nach Trittau gekommen. In der besten besuchtesten Marktzeit war er verschwunden und kam erst am nächsten Tag wieder um seinen Stand abzubauen.
 
Ich kann viele solcher Geschichten erzählen. Alkoholiker haben sich nicht mehr unter Kontrolle. Oft werden sie hemmungslos und wissen später nicht mehr was sie anderen zugemutet haben.
 
Es geht hier nicht um einmal betrunken – nein – es geht um jahrelangen Alkoholkonsum und das Tag für Tag. Ohne Alkohol vergeht bei ihnen kein Tag. Das ist ganz traurig für diejenigen die abhängig sind.
 
Til Schweiger hat das Pech, berühmt zu sein. Viele seiner Kollegen sind nicht besser als er – die Öffentlichkeit weiß es nur nicht. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
 
Til Schweiger kann egal sein, was und wie andere über ihn denken. Dass er sich für den Größten hält ist bekannt. Aber seinen Kindern dürfte es schon wehtun, ihren Vater öffentlich vorgeführt zu sehen.
 
Es ist das Schlimmste was Alkoholiker ihren Kindern antun. Denn Kinder lieben ihre Eltern – egal wie sie sind. Til Schweigers Alkoholproblem zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten unseres Landes, Die Corona Pandemie hat es in den Familien noch befeuert.
 
Manchmal ist es schwer, sich und das Leben auszuhalten – doch der Alkohol täuscht eine Welt vor die es real nicht gibt. Nicht bei Til Schweiger und nicht bei den vielen anderen die im „SPIEGEL“ ungenannt bleiben.
 
Wer im Eventmanagement arbeitet, kennt die Sehnsucht Teil einer ausgesuchten Gruppe zu werden. Doch wer uns nur unter Alkoholeinfluss akzeptiert, akzeptiert den Alkohol. und nicht uns.
 
Ich vertrage keinen Alkohol – außer einen eiskalten “Otto spezial”. Den gibt es nur in der historischen Getränkekutsche von Matthias Böttger auf unseren Trittauer Märkten.
 
Ein Schnapsglas “Otto spezial” und ich könnte die ganze Welt umarmen. Dieses Gefühl der Leichtigkeit gönne ich mir nur auf unserem Mühlenmarkt in Trittau am “Tag der offenen Mühlen” am 29. Mai, wenn die “Jazz Lips” spielen. “Otto spezial” garantiert immer noch, dass ich meinen Verstand behalte und weiß was ich tue. Einen zweiten wage ich nicht.
 
Dazu scheibt auf meiner FB Seite Dirk Dotzert:
 
ein sehr lesenswerter text mit vielen richtigen, wichtigen beobachtungen und hinweisen. herzlichen dank dafür!
 
(ich habe 25 jahre in der filmbranche in verschiedenen bereichen, in verschiedenen funktionen und positionen gearbeitet. das ausmaß der mißbräuchlichkeiten und der vertuschungen ist enorm. der laie macht sich davon keine vorstellung.
 
das schlimmste ist die verbreitete haltung, ‘geht mich nichts an, ich mache mein ding’. es wird weggeschaut, geschwiegen, weggeschwiegen, weggeredet. zur not wird knallhart gelogen. kaum jemand geht dagegen vor, spricht die dinge klar an.
 
das ist das hauptproblem, egal wo: das sich wegducken, in die andere richtung schauen. nicht nur in der filmbranche.
 
ein zentraler teil des phänomens ist – neben feigheit, opprtunismus, karrierismus, geldgeilheit – der leider immer noch tabuisierte umgang mit psychischer versehrtheit: da ist zuviel scham, furcht, angst im spiel. und auch zuviel unwissenheit. ein offenerer, furchtloserer umgang mit psychischen problemen, mehr aufklarung, mehr debatte, mehr aktiver konklusion, intervention wäre dabei sehr hilfreich.
 
ich spreche aus erfahrung. ich war schwer drogenabhängig, weil ich gegen ende meiner karriere in der filmbranche diese unbedrogt nicht mehr ausgehalten, nicht mehr ertragen habe. ich war ein wrack. es hat niemanden interessiert. hätte ich meine frau nicht kennengelernt, damals auch in der branche, ich wäre vielleicht nicht mehr.
 
wenn wir heute auf einem ihrer märkte stehen, denke ich manchmal an die zeit in der filmbranche zurück, und bin sehr glücklich, da raus zu sein, das hinter mir gelassen zu haben. sicher gibt es gewisse probleme und vorkomnisse überall, wie sie beschreiben, aber ich kann sagen: ich kenne keinen, weiss von keinem anderen lebens-/arbeitsbereich, wo es so gnadenlos egoistisch, narzisstisch, rücksichtslos zugehen kann wie im sogenannten ‘kulturellen’ sektor – film, fernsehen, bühne, literatur, bildende künste … der mythos vom ‘kaputten künstler’ kommt nicht von ungefähr; es ist eine extrem toxische szene.
das sollte man wissen, wenn man namhafte, gar berühmte stars und sternchen, regisseure und produzenten, autoren etc., ‘künstler’ bewundert, verehrt, anhimmelt … es gibt ausnahmen, klar, aber der laie würde sich sehr wundern, wenn ich hier namen nennen würde; til schweiger ist leider nur einer unter sehr vielen, leider viel zu vielen.)